Sven Kramer

Transformationen der Gewalt im Film
Über Riefenstahl, Améry, Cronenberg, Egoyan, Marker, Kluge, Farocki

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Bertz & Fischer, Deep Focus 20
184 Seiten, 51 Fotos
Paperback, 14,8 x 21 cm
Artikelnummer 978-3-86505-323-7
Erschienen im September 2014

In den letzten Jahren ist eine Tendenz feststellbar, dass gerade - aber nicht nur - Filmliteratur mit extrem weitgreifenden Titeln aufwartet, um sich dann tatsächlich nur sehr spezialisierten Aspekten des Themas zu widmen. Es ist daher wichtig, zunächst festzustellen, was das jeweilige Buch NICHT ist. Liest man den Haupttitel von Sven Kramers Aufsatzsammlung "Transformationen der Gewalt im Film" wird die Hoffnung geweckt, es handle sich um einen lange überfälligen deutschsprachigen Band zur Ästhetik und Funktion von Gewalt im Spielfilm. Und hier kommt der Untertitel ins Spiel...

Nüchtern betrachtet ist Gewalt zunächst eine der konstanten Ausdrucksformen filmischer Inszenierung. Gewalt im Film ist Kommunikation. Dazu kommt die Möglichkeit des Films, Gewalt als reales Phänomen ästhetisch zu reflektieren und so zu diskursivieren. Beide Phänomene sind international intensiv diskutiert worden, während in der deutschsprachigen Forschung Gewalt vor allem als soziologisches Thema erschlossen ist. Gewalt im Film wird (oder wurde) vor allem von der Medienwirkungsforschung diskutiert, denn im akademischen Diskurs haftet der filmischen Gewalt ein Verdacht an - Gewaltbilder sind verbotene Bilder. Es bleibt also das Desiderat einer ästhetisch basierten Analyse und Theorie der Gewalt im Film. Das leistet "Transformationen der Gewalt im Film" leider nicht.

Der Lüneburger Literaturwissenschaftler Sven Kramer, der u.a. einen renommierten Band zum Holocaust-Kino herausgegeben hat ("Die Shoah im Bild"), versammelt in dem vorliegenden Buch seine publizistische Beschäftigung mit unterschiedlichen Aspekten des filmischen Gewaltdiskures aus den Jahren 2007 bis 2012. Als Beispiele dienen ihm Leni Riefenstahls Propagandafilme, Chris Marker, Atom Egoyan (ARARAT), David Cronenberg (A HISTORY OF VIOLENCE), Alexander Kluge, Harun Farocki (AUFSCHUB) und Jean Amérys Reflexionen auf die Tortur im Film. Das primäre Erkenntnisinteresse dient der Eruierung von filmischen Möglichkeiten, reale Gewalt in ästhetischer Form zu verhandeln. Hier ist eine Verbindung zum Interesse des Autors an der künstlerischen Reflexion des größt denkbaren Gewaltereignisses (des Genozids) zu sehen. Dieses Interesse durchzieht den Band folglich von der indirekten Thematisierung (Riefenstahls Nazi-Propaganda) über die Metareflexion (bei Atom Egoyans Film über den Genozid der Türken an den Armenien) bis hin zu den komplex-essayistischen Filmen von Marker, Kluge und Farocki. Namen wie Sam Peckinpah, Robert Aldrich, Jean-Pierre Melville, Martin Scorsese, Quentin Tarantino, Dario Argento, Gaspar Noé oder Nicholas Winding Refn wird man hier vergeblich suchen, denn der Autor schließt den größten Bereich im Vorwort aus. Seine ausgewählten Beispiele "unterscheiden sich von der Konfektionsware aus kulturindustrieller Produktion insofern, als sie auf der Höhe der Theorien über den Zusammenhang von Bildern und Gewalt agieren" (S. 8). Ob nicht auch weltweit rezipierte Filme wie IRREVERSIBLE, DRIVE, MARTYRS oder INGLORIOUS BASTERDS das Geforderte leisten, bleibt zu diskutieren.

Die Thematisierung von Gewalt als ästhetische Kommunikationsform wird nur in einem Kapitel nachdrücklicher diskutiert: an David Cronenbergs Comic-Adaption. Leider bleibt hier der eigentliche Cronenberg-Diskurs weitgehend außen vor, obwohl sich einige Argumente mit dem im selben Verlag erschienen Band über den Regisseur ergänzen. Aufschlussreich ist Kramers Diskussion von Amérys Thesen über Alain Robbe-Grillets EDEN ET APRÈS (u.a.), die den biografischen Hintergrund des Autors (Améry als Folteropfer der Gestapo) mit einbeziehen. Auch hier wird der Robbe-Grillet-Diskurs nur sehr selektiv einbezogen, zumal Robbe-Grillets ästhetizistischer Blick auch zahlreiche weiterführende Aspekte aufwirft.

So bietet das Buch von Sven Kramer wertvolle Impulse zu einer sehr spezifischen Diskussion des Autorenfilms als Medium des Gewalt-Diskurses, nicht aber weiterführende Aufschlüsse grundsätzlicher Art zu "Transformationen der Gewalt im Film". In diesem Bewusstsein lassen sich Kramers Ausführungen allerdings mit großem Gewinn lesen.

:ms: