Fields of the Nephilim

Mourning Sun

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(Oblivion/SPV 2005) CD 7 Tracks (lim. Ed. 8 Tracks)

Wiederkehrende Legenden der Rockmusik sind meist etwas problematisch. Zumal gerade Carl McCoys Gothicrock-Formation Fields of the Nephilim bereits mehrere Comebacks vorhergesagt bekam. Einmal war das in Gestalt der eher Metal-orientierten The Nefilim ("Zoon"), die McCoy selbst mit einigen Sessionmusikern bestritt, dann war es die Veröffentlichung etwas konzeptloser Demos und Remixe unter dem bezeichnenden Titel "Fallen", ein Album, das deutlich erkennbar auch nicht ästhetisch den bisherign Ansprüchen des Frontmannes entsprach, der immerhin sein Geld mit einem Grafikstudio (Sheer Faith) verdient und einen ganz eigenen, erdig strukturierten Stil entwickelt hat.

Mit "Mourning Sun" liegt nun also erstmals ein echtes neues Nephilim-Album vor - über zehn Jahre nach der offiziellen Auflösung der Band. Bereits das Cover wartet mit einer Gestaltung auf, die nahtlos an das letzte Meisterwerk "Elyzium" anschließt. Betrachtet man das neue Werk insgesamt, verhält es sich zu "Fallen" etwa so wie Renny Harlins Film EXORCIST: THE BEGINNING zu Paul Schraders Parallelproduktion DOMINION: Die zweite Version ist jeweils künstlerisch geschlossener, tiefgehender, ästhetischer - und dennoch fehlt etwas (vermutlich kann Horror-Freak McCoy mit diesem zunächst abstrusen Vergleich sogar etwas anfangen). "Mourning Sun" bietet eine durchaus spannende und fesselnde Palette aller Elemente, die man an Nephilim schätzen und lieben gelernt hat. Und zudem: Es ist durch und durch geprägt von McCoys prägnanter Grummelstimme. Die Texte erscheinen etwas selbstverweisender, doch Nephilim war letztlich immer ein Name für McCoys Privatmythologie. Und so kann es ja auch bleiben...

Die Cd beginnt mit "Shroud (Exordium)", einem chorallastigen, düsteren Intro, das nur wenige Lichtstrahlen durch den Nebel dringen lässt. Unweigerlich denkt man an die legendären Auftritte mit "Elyzium". Eine Ahnung, niemals Gewissheit... Alte Fans werden hier von wohligen Schauern befallen.

"Straight to the Light" löst bereits im Titel die beschriebene Stimmung auf, und dieses Stück wirkt wie ein Remake von "For Her Light", das ebenfalls den Durchbruch der Sonne auf "Elyzium" verkörperte. Hier finden wir auch die von McCoy für The Nefilim kultivierten Metal-Elemente wieder, die teilweise etwas zu pathetisch daherkommen und deutlich kommerziell orientiert wirken. (Vermutlich wird genau deshalb dieses Lied noch zur Single werden...)

"New Gold Dawn" beginnt mit dem pulsierenden Bass, den man am klassischen Gothicrock so lieben gelernt hat. Ungewohnt pur erklingen McCoys prägnanten Vocals, erzählen uns ihre Visionen und brechen nur stellenweise in den Refrain aus. "Tomorrow!" - wir sollen nach vorne blicken. Die Vergangenheit verblasst. Was hat der Meister vor? Eines wird unbversehbar: Er hat seine alte Wut und Kraft zurück...

Regen und lange Geräuschsamples leiten das "Requiem XIII-33 (le veilleur silencieux)" ein, ein episches Gedicht, das direkt aus den "Elyzium"-Sessions stammen könnte - möglicherweise der Höhepunkt des Albums. Packend, retrospektiv, melodiös und finster. Wunderschön: "Does it burn inside?"

Auf das aggressivere Album "Zoon" verweist "Xiberia (Seasons in the Ice Age)", ein hämmerndes Gothic-Metal-Stück mit befremdlich verzerrten Vocals und Sample-Flächen. Paranoia und Hass prägen diesen Ausbruch, der etwas den anheimelnd melodiösen Metal von "Straight to the Light" in Frage stellt. Hier stehen auch deutlich elektronische Sequenzen im Mittelpunkt - bislang ein seltenes Phänomen im Werk des Nephilim, das jedoch als bewusste 'Modernisierung' betrachtet werden kann.

"She" verweist mit filigran hoher Gitarrenmelodie und einem episch-behäbigen Rhythmus direkt zurück auf die legendäre LP "The Nephilim" und Lieder wie "Last Exit for the Lost". McCoys Stimme erklimmt hier höhere Regionen und zeigt sich deutlich emotional ergriffen. Dazwischen sein berühmtes verhalltes Fauchen... Ein Liebeslied? Zumindest eines der fatalistischen Art...

Von einer enormen Länge ist auch das Titelstück "Mourning Sun" (fast 11 Minuten!), das sich noch einmal aller Nephilimismen bedient: zarte Gitarrenmelodie, brutal-verzerrte Ausbrüche, verhallte Stimme, gruftiges Rezitativ, engelsgleiche Choräle und sehnsuchtsvolle Vocals: "We are falling like the mourning sun!" Durchaus: ein aufregendes Stück, das noch einmal volle Aufmerksamkeit fordert - bis zum gehauchten Nachklang nach einer kruzen Zeit der Stille. Eine beharrliche Wiederkehr.

Fazit: Man sollte es sich nicht leicht mit diesem Album machen, denn es hält gerade beim wiederholten Hören zahlreiche Überraschungen bereit. Klar ist, dass dieser epische Gothicrock heute einzigartig dasteht und "Mourning Sun" zumindest als eines gelten kann: Die Bestätigung eines musikhistorischen Monuments...

Marcus Stiglegger