MARS

Sacrifice E.P.

Label: :Ikonen: Media
Veröffentlichung: Oktober 2013
Format: 12’’ Vinyl

Mars ist der Gott des Krieges. Unter seinem Namen haben Oliver F., Gitarre und Gesang, und Marcus S., Perkussion und Gesang, ein Folk-Projekt initiiert, das tief in mythische Nebel eintaucht. Emblematisch hierfür steht bereits das von Nadine O. Demmler gestaltete Cover ihrer zweiten Veröffentlichung „Sacrifice“: Ein blätterloser und abgestorben erscheinender Wald zieht den Betrachter in seinen Bann und bildet die archaische Kulisse für die in Form eines mittelalterlichen Herrschermonograms gestaltete Kultstätte der Band. Drei Tierschädel erinnern dabei an die pagane – und später verdrängte – Herkunft unserer Kultur, die hier im Assoziationsraum mit der mittelalterlichen Herrschaftssymbolik sowie der Semantik des römischen Kriegsgottes in einen neuen Bedeutungszusammenhang verortet wird.

Die Platte wird von dumpfen, wie tief aus den Wäldern dringenden, Trommelschlägen eröffnet. Dann brechen sich eine dynamische Folkgitarre, fordernder Gesang und rituell-archaische Percussions ihren Weg durch den Nebel: Das erste Stück „Icarus Falling“ eröffnet die E.P. sehr druck- und kraftvoll, ist weniger schwärmerisch, als vielmehr dem Namensgeber des Duos verpflichtet. Ein zurückhaltendes aber gleichsam kunstvolles Arrangement und dezente Chöre umspielen den Song. Danach folgt der Titeltrack „Sacrifice“, dessen zerbrechliche Atmosphäre durch eine verzerrte E-Gitarre kontrastiert wird, die MARS im Genre-Spektrum des Folk zwischen den progressiven Cult of Youth und King Dude positioniert. Mit ihrem bewussten Einsatz elektronischer, ja sogar verzerrter, Gitarren verweisen MARS dabei auf eine tief in der Geschichte des Folk zurückweisende – und bis heute nicht ganz überwundene – Spaltung, die in dem Satz „Dylan went electric“ ihren ikonischen Ursprung fand. Als Bob Dylan 1965 auf dem Newport Folk Festival erstmals mit elektrischer Gitarre auftrat, sollte dies seine Hörerschaft nachhaltig entzweien und auch auf das Genre insgesamt einen prägenden Einfluss hinterlassen. MARS beziehen zu diesem modernen popkulturellen Mythos, hier nun als Ursprungs- bzw. Identitätserzählung einer musikalischen Tradition verstanden, in ihren Kompositionen konsequent Stellung. Das letzte Stück der E.P. „Ignition I“, in dem die verzerrte Gitarre zum dominierenden Klanggeber eines ekstatischen Jams wird, und damit eher auf Velvet Underground als auf Death in June verweist, spiegelt diesen Zusammenhang in emblematischer Form. Auch die freie Form dieses Stückes weist über den Folk hinaus und bildet den Schnittpunkt von psychedelischem 60s Proto-Punk im Stile der Stooges und einem archaischen Ritual. Einen weiteren Höhepunkt der Platte bildet das elegische Cover „Northern Cold“, das die Bildwelten aus Winding Refns Film „Valhalla Rising“ vor dem inneren Auge erscheinen lässt...

„Sacrifice“ ist eine innovative Veröffentlichung im sonst oft redundanten Dickicht des Neo-Folks und stellt eine konsequente Weiterentwicklung des 2012 veröffentlichten Albums „Sons fo Cain“ dar. Die vielgestaltigen Bezugnahmen auf mythische Symbolik, aber auch deren bewusste Konfrontation und Gegenüberstellung sowie die stilistische Vernetzung von Folk, Post-Rock und Ritual machen MARS zu einem wichtigen Bestandteil der neuen und entschieden progressiv ausgerichteten Vertreter des Neo-Folks. MARS haben dessen traditionelle Grenzen bereits lange hinter sich gelassen, ihren eigenen Sound definiert und zwischen Johnny Cash und Neurosis eine Verbindung hergestellt und diese ästhetisch elektrifiziert: „The God of War went electric“ – eine tolle Veröffentlichung!

Patrick Kilian