Körpertheorie des Films I

Entliehen mit freundlicher Genehmigung des
Autors aus "FM4 - Das Buch # 1" (Deuticke Verlag). Siehe Linksammlung!

Christian Fuchs

Let's get physical
Anmerkungen zum Körperkino

 

Das Mainstream-Kino zielt auf wohligen Bauchkitzel ab, heißt es. Und der Kunstfilm peilt den Kopf an. Eine bestimmte Gruppe von Regisseuren will aber längst den ganzen Körper des Betrachters rocken. Zwischen Kommerz und Underground angesiedelt, fordert das Body Cinema jedoch nicht nur physische Erfahrungen ein - es erzählt auch vom erschütterten, erregten, bedrohten Körper unter den Bedingungen einer zunehmend artifiziellen Realität…

Aufblende. Riesig und verzerrt ragt der Kopf einer älteren Frau ins Bild. Tiefe Bassfrequenzen dröhnen von der Tonspur. Das Licht flackert stroboskopartig. Sara Goldfarb (Ellen Burstyn) glotzt schweißüberströmt auf den Kühlschrank in ihrer kleinen, verdunkelten Wohnung. Ihre Augen sind weitaufgerissen, ihr Mund zuckt. Seit Wochen schluckt sie bereits Diätpillen statt fester Nahrung, ebenso lange starrt sie schon auf den monströsen Eiskasten voller verbotener Köstlichkeiten. Plötzlich laufen Bild und Ton Amok, gleichzeitig beginnt der Kühlschrank wie ein metallenes Ungetüm auf die Frau loszurasen. Gewichtsreduktion und Tablettenabhängigkeit als cineastischer Höllentrip.

So wie sich Kino-Wunderkind Darren Aronofsky in "Requiem For A Dream" (2000) der menschlichen Suchtproblematik nähert, hat man es zuvor auf der Leinwand noch nicht gesehen. Wäre es für andere Regisseure naheliegend gewesen, die Geschichte von vier Menschen, die mit Hilfe diverser Substanzen aus ihrer New Yorker Alltagstristesse flüchten, entweder in konventionelles Erzählkino zu verpacken oder aber halbdokumentarisch anzulegen, will Aronofsky gängigen Realismus transformieren. Sein formaler Weg liegt irgendwo zwischen Kunst und Kommerz, grellen Musikvideo-Anleihen und purer Provokation – ganz nahe an der physischen Erfahrung. Der knapp dreißigjährige Regie-Shootingstar steht mit diesem Ansatz nicht alleine da. Eine ganze Reihe zeitgenössischer Filmemacher will weder den Kopf des selbsternannten Cineasten ansprechen, noch den Bauch des Mainstreamsehers massieren, möchte nicht mehr bloß amüsieren oder belehren, einlullen oder Denkprozesse anregen, wie es alte Kategorisierungen vorschreiben. Sondern stattdessen den ganzen Körper des Betrachters rocken. Ihn beanspruchen und sogar angreifen: Welcome to Body Cinema.

Womit aber, um gleich Missverständissen entgegenzuwirken, weder die kindlich-ungefährliche Schaulust an rasenden Cinemascope-Stunts oder donnernden Surround-Weltraum-Schlachten gemeint ist, noch die Reaktionen, die ein überdimensional projizierter IMAX-Streifen auslöst oder gar die viel beschworenen Verlockungen virtueller Technologien. Auch nicht der kinetische Kitzel, den viele virtuos choreografierte Martial Arts-Epen bewirken. Es soll hier von tiefer gehenden physischen Erschütterungen die Rede sein, als sie die eskapistische Jahrmarkttradition des Kinos hervorzurufen vermag; von Filmen, die Erregung evozieren, Tränen und Angst und/oder Übelkeit. Filme, die – pathetisch formuliert – Narben auf der Netzhaut hinterlassen.

Wer jetzt an Zelluloid-Radikale wie beispielsweise Kurt Kren, Stan Brakhage oder Valie Export denkt, an filmische Materialschlachten im Geiste der aktionistischen Gegenkultur der sechziger und siebziger Jahre, liegt natürlich prinzipiell richtig. Aber dann doch wieder nicht. Stehen diese Enttabuisierungen von Intimzonen und Körperflüssigkeiten durch ihre konsequent avantgardistische Machart doch außerhalb jeglicher Traditionen des herkömmlichen narrativen Kinos. Die aktuellen Body Cinema-Macher plazieren aber bewußt spektakuläre Momente des Körperlichen innerhalb dieser Konventionen. Sie benützen das Gerüst von Genres oder das Skelett klassischer Erzählungen, um damit physische Sensationen und Schocks zu transportieren.
Beispiele gefällig? David Finchers "Seven" (1995) und "Fight Club" (1999), zwei Streifen, die die Limitierungen handelsüblicher Thriller-Ware sprengen und tief in Bereiche abseitiger Popkultur eindringen. Ersterer ersetzt abgedroschene Grusel-Klischees durch Referenzen an Industrial-Bands und Modern Primitivism und verschärft dadurch die Körperlichkeit massiv. Die Geschichte von den selbstzerstörerischen Prügel-Clubs pendelt wiederum so perfide im Grenzbereich von High Tech-Inszenierung und Avantgarde-Techniken, dass es rund um "Fight Club" Kontroversen hagelte. Hitzige Diskussionen seiner Filme ist auch der Agent Provokateur des europäischen Kinos, Lars von Trier, gewohnt. "Dancer in the Dark" (2000) demonstriert wie auch der verwandte "Breaking the Waves" (1996) Körper-Kino in full effect: Das Erbe des Musicals trifft auf aktuelle Videoclip-Tendenzen, melodramatische Stereotypen werden verpackt in die Ästhetik einer billigen Reality-TV-Sendung. Macht die verwackelte Kameraführung im semidokumentarischen Dogma-Stil zunächst nur seekrank, reißt das feminine Leidensepos schließlich den Betrachter vollständig ins Geschehen mit hinein. Am Ende, wenn die traurige Protagonistin Selma (alias Björk) dem Tod durch den Strang entgegengeht, fehlt jegliche Distanz auf Publikumsseite, sind Tränenfluten fast programmiert. Aber genau das will Lars von Trier, ebenso wie die anderen Vertreter des Body Cinema. Es geht den Gestaltern dieser Filme darum, auf heftige, suggestive Weise den Zuschauer-Körper aus seiner saturierten Gegenwarts-Lethargie zu reißen.

Was für von Trier dabei die zittrige Handkamera, ist für Darren Aronofsky etwas, das er "Hip Hop-Montage" nennt: Ein visuelles, genau zum Soundtrack getimtes Feuerwerk physisch eindringlicher Sequenzen. Eine Collage aus Bildteilungen, Zeitraffer, Brüchen mit der Narration. Ist der Betrachter von diesem Bildersturm einmal "eingesaugt", sitzt er in der Falle und wird von "Requiem For A Dream" mit geballtem menschlichem Elend konfrontiert. Das Ziel: des Regisseurs: Uns betäubt und malträtiert aus dem Saal zu entlassen und gerade dadurch mit dem eigenen Suchtpotenzial zu konfrontieren.

"Für mich sind Horror-Filme Filme der Konfrontation, überhaupt nicht solche der Flucht", [...] in einem Horror-Film wird man auf eine bestimmte sichere, traumhafte Weise mit Dingen konfrontiert, mit denen man im wirklichen Leben nichts zu tun haben möchte. Aber schließlich wirst du diesen Dingen gegenüberstehen: Ich spreche vom Alter, von Tod und Einsamkeit." (David Cronenberg)

"People have told me that they were shaken, they couldn't speak for a day, and that they were just shocked, all the great stuff you want to hear when you make a film like this." Wenn sich Herr Aronofsky in seiner diebischen Freunde über die geschüttelten und gerüttelten Zuschauer wie ein typischer Splatter-Regisseur anhört, der seinem Auditorium eine kollektive Gänsehaut verpassen will, ist diese Fährte nicht ganz falsch. Der Horror-Film, der es sich mit Darstellungen von bedrohten, verletzten, zerstückelten Körpern zur wichtigsten (und bisweilen einzigen) Aufgabe gemacht hat, Angstschweiß und oft auch Ekel und Übelkeit hervorzurufen, gehört zu den Wurzeln des Body Cinema. Und auch der pornografische Film, dessen Ziel ausschließlich die Erregung des (fast immer männlichen) Publikums via verbotener Schweinereien ist. Die amerikanische Autorin Carol J. Clover ist es, die diese beiden Exploitation-Gattungen erstmals als Body Genres bezeichnet. Eine andere Filmtheoretikerin, Linda Williams, ergänzt die Auswahl um das Melodram. Schließlich bringen auch hochgradige Rührstücke den Körper der (in diesem Fall wieder überwiegend weiblichen) Konsumenten ein wenig außer Kontrolle.

Aufregung, Erregung, Auflösung: Diese spektakulären physischen Wirkungen erleben die ZuseherInnen eines Horror-Schockers, Pornos und Melodrams gemeinsam mit den Charakteren. Es ist das Merkmal der Body Genres, das die Person im abgedunkelten Kinosaal (oder weniger intensiv vor dem Fernsehschirm) zum Stellvertreter des angegriffenen, orgasmierenden, zusammenbrechenden ProtagonistInnen-Körpers wird. Die Schreie der Horror-Opfer, das lustvolle Akteurs-Stöhnen beim Unterleibs-Film, die Tränen der leidenden Melodramen-Heldin bedingen nicht selten Schreie, Stöhnen und Schluchzen im Zuschauerraum.

Nun ist aber "Requiem For A Dream" ganz sicher kein Betrag zum Horror-Genre, es sei denn man sieht diesen Begriff fast in einem philosophischen Sinn. "Dancer in the Dark" entfernt sich von herkömmlichen Merchant-Ivory-Schnulzetten so weit wie die Dogma-Rohheit von Spielberg-Blockbustern. "Fight Club" paßt schon in gar keine Schablone mehr, ebenso wie die meisten Werke des Körper-Kino-Pioniers David Lynch. Die bisher genannten Regisseure, aber auch Typen wie z.B David Cronenberg, Abel Ferrara, Shinya Tsukamoto, Jörg Buttgereit, Andrzjei Zulawski, Léos Carax, Takashi Miike und wohl auch Tom Tykwer, Wong Kar-wai und der frühe John Woo, sie alle operieren zwar mit der ekstatischen Sprache exzessiver Body Genre-Streifen. Allerdings stecken unter der Oberfläche noch andere Ambitionen als das selbstzweckhafte Hervorrufen von Angst, Erregung und emotionaler Auflösung (was einen eigenen, jugendschutzgefährdenden Artikel wert wäre). Werke wie die erwähnten oder auch "Tokyo Fist" des japanischen Techno-Punks Tsukamoto und Cronenbergs umstrittene J.G Ballard-Adaption "Crash" (beide 1996) zeigen verstaubten Kategorisierungen in "High"- und "Low"-Art den gestreckten Mittelfinger. Sie bemühen sich, so wie Lynch seit seinem Debüt "Eraserhead" (1976), die grundsätzliche Unkörperlichkeit des Mediums Film zu überwinden, indem die Kamera mit uns förmlich in Körperteile hineinfährt oder die Tonspur in den Ohren rauscht. Und: Diese Filme haben auch etwas zu berichten. Nicht selten erzählen sie von der zunehmenden Schwierigkeit, überhaupt noch Erschütterung oder Erregung zu erfahren, unter den Bedingungen einer zunehmend artifiziellen Realität.

"Wollte man den gegenwärtigen Stand der Dinge benennen, so würde ich sagen, wir befinden uns nach der Orgie. Die Orgie ist der explosive Augenblick der Moderne, der Augenblick der Befreiung in allen Bereichen. Politische Befreiung, sexuelle Befreiung, Entfesselung der Produktivkräfte, Entfesselung der destruktiven Kräfte, Befreiung der Frau, des Kindes, der unbewußten Triebkräfte, Befreiung der Kunst. Hochjubeln aller Repräsentations- und Antirepräsentationsmodelle. Es war eine totale Orgie des Realen, des Rationalen, des Sexuellen, des Kritischen und Antikritischen, des Wachstums und der Wachstumskrise. Wir sind alle Wege der Produktion und virtuellen Überproduktion der Objekte, der Zeichen, Botschaften, Ideologien und Vergnügungen gegangen. Heute ist alles befreit, das Spiel ist gespielt, und wir stehen gemeinsam vor der entscheidenden Frage: WAS TUN NACH DER ORGIE?" (Jean Baudrillard)

Konnten 1969 die ausrangierten Revolverhelden in Sam Peckinpahs "The Wild Bunch" noch in einem archaischen Gemetzel "abtreten", gelang dem Liebespaar in "Ai No Corrida" ("Im Reich der Sinne") 1976 noch die gemeinsame sexuelle Selbstverschwendung, taumeln die Figuren aktuellerer Werke wie "Crash", Fight Club" oder "Tokyo Fist" nur mehr durch eine hyperreale Simulationswüste, die sogar die gewaltsame Revolte des Körpers bisweilen als entleerte Geste wirken lässt.
"I hurt myself today - to see if I still feel" heißt es in einem Nine Inch Nails-Hit. "To see if I still feel": Das ist nicht nur für die Figuren des Körper-Kinos ein zentraler Punkt, sondern auch für die Macher dieser Filme. "Zitat, Intertextualität und Selbstreferentialität sind inzwischen zu Stilmitteln geworden, auf denen gerade eine neue Generation von Filmemachern ihr Kino der Affekte aufbaut, das häufig an seinem bewußten Gestus des Künstlichen krankt", schreibt der deutsche Autor Marcus Stiglegger; Aronofsky & Co. würden diesen Befund unterschreiben, obwohl auch ihre Werke oft in einem durch und durch artifiziellen Universum angesiedelt sind. Allerdings sperrt sich die Besessenheit und Raserei sowohl der Kamera als auch der ProtagonistInnen in den besten dieser Filme gegen jede postmoderne Beliebigkeit. Zitate tauchen nicht ironisierend, sondern höchstens noch zerstückelt, fragmentiert auf.
Die Suche nach Spuren einer Authentizität und die damit verbundene Wiederentdeckung des Fleisches, verbindet die Körper-Kino-Regisseure nicht nur mit Techno-Tribalisten, alten und neuen Rock'n Rollern und der Szene der ganzkörpertätowierten Piercing-Freaks. Der Körper ist überall am Beginn des neuen Jahrtausends, ebenso aber auch die Rede von seiner Abwesenheit. Der amerikanische Medienkünstler Doug Aitken etwa erforscht in seinen Installationen "automation and the notion of the loss of the physical and in its place, the mechanical, and how we become less and less reliant on our bodies", (Anti-)Pop-Literaten wie Bret Easton Ellis und Chuck Palahniuk oder die Franzosen Frédéric Beigbeder und vor allem Michel Houellebecq berichten von den letzten Zuckungen des Körperlichen inmitten allgegenwärtiger Desensibilisierung und Apathie. Das triste Personal von Houellebecqs Erzählungen könnte auch aus "Requiem for a Dream", "Crash" oder den spermagetränkten Tragikomödien von Todd Solondz stammen. Es sind intelligente und einsame Angehörige der Mittelklasse, deren Tage einförmig und austauschbar dahinziehen, Beziehungsgeschädigte, deren Sexualität sich auf Masturbationsfantasien beschränkt, Kontaktunfähige, die Anfang Dreißig ihr Leben schon hinter sich zu haben glauben. In Beigbeders Bestseller "39, 90" empfindet ein hoch bezahlter Angestellter aus der Werbebranche seinem Beruf gegenüber die selbe Verachtung wie der namenlose Ich-Erzähler in Finchers "Fight Club". Figuren, die die Befindlichkeit ihrer Erfinder artikulieren, jener Schriftsteller, Filmemacher und Künstler, die längst bemerkt haben, dass sich das Postulat des "Anything Goes" der Achtziger in ein "Nichts geht mehr" verwandelt hat.
Nach der Orgie, nachdem alle Spiele gespielt sind, können laut Jean Baudrillard, dem alten Propheten des Sich-im-Kreis-Drehens, nur mehr die bereits realisierten Szenarios wieder und wieder durchlebt werden. So als ob gar nichts passiert wäre: als hyperrealistische Simulation. "Wir leben in einer grenzenlosen Vervielfältigung von Idealen, Phantasmen, Bildern und Träumen, die von nun an hinter uns liegen und die wir dennoch in einer gewissen schicksalshaften Gleichgültigkeit weiterproduzieren müssen." Ein Zustand, der den Regisseuren des Body Cinema als inakzeptabel erscheint und sie nach Strategien suchen lässt, um ihn wenigstens kurzfristig aufzuheben. Was im kulturellen Sperrfeuer aus Stereotypen und selbstreferentiellen Zitaten eine durchaus schwierige bis unmögliche Aufgabe ist. Die führenden Vertreter des Körper-Kinos lassen sich dennoch auf dieses Wagnis ein.

"Zwar haben 60 Prozent der Menschen auf dieser Erde noch nie ein Telefon benutzt. Trotzdem leben etwa 30 Prozent von uns in einem digitalisierten Universum, das künstlich konstruiert, manipuliert und nicht mehr naturhaft oder traditionell ist. [...] Man kann es ironisch fassen: In allen Bereichen haben wir zunehmend das Ding ohne sein Wesen. Wir haben Bier ohne Alkohol, Kaffee ohne Koffein, virtuellen Sex ohne Sex. Nun haben wir auch virtuelle Wirklichkeit: Realität ohne Realität, gänzlich reguliert und dinghaft. Aber die Sache hat eine Kehrseite: In unserem Universum toter Konventionen muss die einzig wirklich authentische Erfahrung ein äußerst gewaltsames, erschütterndes Erlebnis sein. Dann haben wir das Empfinden, wieder im wirklichen Leben angekommen zu sein. [...] Damit die Erfahrung authentisch wird, muss sie extrem gewaltsam sein." (Slavoj Zizek)

Auch aktuelle Versuche zur Nackheit und Intimität im Kino, jenseits schematisierter Pornografie, haben etwas zerstörerisches, gewalttätiges, zumindest desolates. Siehe so unterschiedlich geglückte oder gescheiterte Streifen wie "Romance" (1999, Catherine Breillat), "Baise-Moi" (2000, Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi), "L'humanité" (1997, Bruno Dumont) oder Patrice Chéreaus "Intimacy" (2000). Die physische Destruktion, schlussfolgert das Körper-Kino, ist eine der letzten Möglichkeiten im Kampf um den Rest der Leidenschaften in der post-orgiastischen Simulakren-Welt. Ein Ringen, das auf mehrfache Weise stattfindet: Die Protagonisten erhaschen Authentizität, indem sie ihren Körper selbst ins Spiel bringen oder, ganz wortwörtlich, aufs Spiel setzen, ihn verletzen, opfern und zerstören. Wobei es nicht immer der eigene Körper sein muss – der Serienkiller, eine der mythischen Figuren des modernen Body Cinema, kostet über die Körper seiner Opfer, durch das Betasten, Verstümmeln noch einmal den letzten, armseligen Rest authentischer Erfahrungen aus.

Dass dieser Taumel der filmischen Affekte eine bestimmte negative Sogkraft entwickeln kann, ist für Künstler wie Fincher, von Trier, Ferrara oder Tsukamoto ein vernachlässigbares Restrisiko, weil sie von einem mündigen Betrachter ausgehen. Einem, der weiß, dass der Angriff des Körper-Kinos "gut gemeint" ist: Am Ende der Erschütterungen und Zerstörungen stehen – hoffentlich – neue Intensitäten und Vitalitäten. In dem die Regisseure das Publikum mit schweren Zeichen attackieren, mit dem deftigen Repertoire der Body Genres, versuchen sie, mit den letzten extremen Mitteln des Mediums dem Medium noch Emotionalität abzuringen. Spektakel-Kunst gegen die Guy Debord'sche "Gesellschaft des Spektakels" sozusagen. Unterhaltungs-Kino, das den Betrachter erwartungsgemäß aus der Gewöhnlichkeit hinauskatapultiert, aber nicht in einen narkotisierenden Mainstream-Wattebausch hinein, sondern in eine verminte Gefahrenzone. "Entertainment through pain", heißt ein alter Slogan aus der Industrial Music-Szene.

Bereits 1965 notierte Susan Sonntag: "Man kann sagen, dass der westliche Mensch spätestens seit der industriellen Revolution unter einer massiven Betäubung der Sinne steht (eine Begleiterscheinung dessen, was Max Weber die "bürokratische Rationalisierung" nennt)" und forderte von der modernen Kunst "eine Schocktherapie (...) durch die unsere Sinne verwirrt und zugleich geöffnet werden." Das Body Cinema verfolgt diese Absicht, aber nicht etwa wie ein Monsieur Godard zur Zeit der französischen Nouvelle Vague auf reflexive, intellektuelle Weise. Sondern so wie eine Krankheit den Körper provoziert, herausfordert, Antikörper zu bilden, um einen Heilungsprozess zu bewirken.